Einläutung ins Dorfschreiberjahr Von Oktober 2017 bis Oktober 2018 lebte ich zeitweise als fĂ¼nfte Dorfschreiberin in Katzendorf in SiebenbĂ¼rgen. Insgesamt verbrachte ich dort 182 Tage, 4.368 Stunden, 262.080 Minuten, 15.724.800 Sekunden, Sonnen- und Regentage, schwarze und Blutmondnächte, Haferlandzeit, Erleben Ă¢â‚¬Å¾unpluggedĂ¢â‚¬Å“. Ich suchte die Begegnung mit Mensch, Tier, Landschaft, Pflanzen in der Realität und in der Vorstellungswelt. Die Begegnung suchte mich in Form von Fragen, MutmaĂŸungen, Neugierde und Hoffnung. Manchmal schlug mir auch Misstrauen, Skepsis und Unwille entgegen. Die Eule versprach zu mahnen und zu wecken, der fette Siebenschläfer hatte es eilig bei seinem Lauf durch die Nacht, die Spinne sah mir beim Duschen zu, ungerĂ¼hrt und gelangweilt, die MĂ¼cken saĂŸen auf der Lauer, sie wollten mein Blut, Leo, der Hund wurde zum zeitweiligen BeschĂ¼tzer, das minderjährige Kätzchen Lori wurde vom Kater des Nachbarn sexuell belästigt, gierige Wespen hatten es auf mein FrĂ¼hstĂ¼ck abgesehen. Jeder, dem ich begegnete, gab seine Sicht der Dinge preis. Eine Sommersächsin, die nicht mit der Mentalität der Roma klar kommt, die versunkene Welten auferstehen lässt, sommer-verbunden und winter-entfremdet mit Katzendorf, die Kuchen brachte und Dinge ändern möchte, die nicht zu ändern sind, die Menschen verändern möchte, die keine Veränderung wollen. Vor meinem Dorfschreiberjahr war ich zweimal kurz in Katzendorf. Es waren flĂ¼chtige Besuche, die leise Zeichen hinterlassen haben. Eine breite DorfstraĂŸe, eine mächtige Kirchenburg, Fremde, die es hierher verschlagen hat, eine zerfallene Welt, aus der Neues entsteht, ein Dichter, der Kulturfeste organisiert. In meinem Dorfschreiberjahr fand ich in Katzendorf und der näheren und weiteren Umgebung Ăœberbleibsel aus der k. u. k. Monarchie, Spuren zweier Weltkriege, Ăœberreste aus dem Kommunismus, Neureiche in protzigen Häusern. Durch die Medien erhielt ich Kenntnis von einer rumänischen Regierung, die wie nach einem Erdbeben wackelte. Eine solide ungarische Minderheit lieĂŸ die blau-weiĂŸe Fahne der Szekler durch SiebenbĂ¼rgische Luft wehen. Um mich herum Schafe, Ziegen, KĂ¼he, Pferde, Gräser, Kinder mit triefenden Nasen, Sommersachsen im Zuhause des Dorfes und Ă¢â‚¬Å¾allroundĂ¢â‚¬Å“ Rumänen, Ungarn und die dorf-präsenten Roma. Besucher kamen und gingen. Lauschten und Ă¼berzeugten sich von einem neuen SiebenbĂ¼rgen. Kirchenburgen begeisterten, Ruinen polarisierten, der Entdeckergeist wurde geweckt. Das SiebenbĂ¼rgen in der direkten Begegnung berĂ¼hrte. Der SchlĂ¼ssel zur Dorfbibliothek drehte sich eines Tages im Schloss und ich stand in dem seit vielen Jahren von niemandem mehr betretenen Raum, wo BĂ¼cher in drei Sprachen – deutsch, ungarisch und rumänisch – wie Dornröschen darauf warteten, zu neuem Leben erweckt zu werden. Ungern hatte der BĂ¼rgermeister den SchlĂ¼ssel herausgerĂ¼ckt, nachdem ich zu einer kleinen List in Form einer Geschichte gegriffen hatte. Manchmal können Worte nicht nur Herzen sondern auch TĂ¼ren öffnen. Ein Jahr, in dem ein Pulk an Worten mich umkreiste und einschloss. Worte, die wie Sand durch meine Hände flieĂŸen, blutrottriefend, silberfarbig schuppig glänzend, flĂ¼chtig schwarz oder wolkenweiĂŸ, neidisch gelb wie Dotterblumen, emsig wie Ameisen beim Melken der Blattläuse, hungriggrĂ¼n wie der Froschkönig am Brunnenrand, nazibraun wie der zottige Hund, der an einem Augustmorgen in fahrigen Sonnenstrahlen furchterregend mitten im Garten stand. Im Vorfeld wurden mir unzählige Fragen gestellt, von SiebenbĂ¼rgern und NichtsiebenbĂ¼rgern. Wieder zurĂ¼ck in Bamberg werde ich erneut mit Fragen konfrontiert. Der Sprechgesang Katzendorfs klingt bei mir noch nach. Im Gesagten liegt viel Ungesagtes. Phantasie und Wirklichkeit sind austauschbar. Seelenwund verschwindet das siebenbĂ¼rgische Dorf mit seinen Bewohnern in den Nebeln der Zeit. Dank an alle Herzensmenschen, die mir begegnet sind und mich inspiriert haben. Bamberg, im Januar 2019